2.2.15
>Sie ist so geladen. Es sitzt ihr wieder mal im Hals. Sie erstickt noch daran. Sie hat genug davon. Ihre Mundwinkel ziehen sich auf beiden Seiten runter, verbittert … landen im unteren Bereich des Kiefers und des Mundes – wie ein Becken, in dem sich der Morast sammelt- Ekel- sie empfindet einen solchen Ekel. Sie könnte kotzen …
… Was war der Auslöser dafür? Dieses Jammern, Lamentieren? Opfer sein, Täter werden. Sie will es sich auch nicht dauernd hinvernünfteln, erklären mit all ihrem Wissen … Unwissen – Alles liegt im Kiefer. Da liegt so viel Trauer, Zorn, Wut, Hass, AngewidertSein …. ErBrechen … KOTzen. Alles in ihr strebt nach WEG, weg von … ganz weg von … Also was will sie? Was will sie nur? Wer ist sie, dass sie was will? Wir leben in einer gefährlichen Situation. Ha! Das soll gefährlich sein? Ja, wenn einer ihr die geladene Pistole an die Stirn hält. Das ist gefährlich. Wenn sie im Krieg ist. Das ist gefährlich. Wenn sie oben auf dem Dach steht und sie einer runterstoßen will. Das ist gefährlich. Aber doch nicht ihr Leben. Sie sitzen im warmen Raum, haben ein Dach über dem Kopf, eine große Firma, in der so viel Material, Knowhow und Potenzial steckt, dass sie steinreich davon werden können. Also, wo liegt diese Gefährlichkeit? Im Kopf! Alles liegt in unserem Kopf. Das Drama in unserem Kopf: STIMMEN IM KOPF.<
Was passiert, wenn wir tatsächlich beginnen, die Tolle-Philosophie als eine mögliche Lebenssicht zu akzeptieren? Nämlich nicht mehr den Stimmen in unserem Kopf Folge zu leisten, ihnen nicht mehr zu glauben, sie nicht zu einer Wahrheit zu machen, und zwar: Weil wir in der Lage sind, diese Stimmen als egoidentifiziert zu erkennen. Jenes Ego, das in der Unbewusstheit bleiben, sich nicht verändern, Gewohnheiten bewahren (beWAHRen = uns eine vermeintliche WAHRHEIT vorgaukeln) will. Es sind nur Stimmen/Gedanken, aber keine Realitäten. Es sind Gedanken, Vorstellungen, Phantasien, die nicht wahr sind.
Einer der vier magischen Sätze der WORK von Byron Katie sagt: Stell dir für einen Moment vor, dieser Gedanke existiere nicht in deinem Kopf. Was fühlst du dann? Wie geht es dir dann damit? Wenn mir dies gelingt, wenn ich selbst hartnäckige, lang trainierte, fest programmierte Glaubenssätze (STIMMEN) in mir für einen Moment löschen kann, dann geschieht etwas Unglaubliches: Ich fühle mich frei, hell, klar, kindlich, voller Freude, im Respekt und Liebe zu mir und dem anderen …!
Tolle sagt (so wie ich es verstehe), dass das Ego nicht unsere Wahrheit ist, nicht sein kann, weil es kein Seins-Zustand ist, sondern ein künstliches Produkt von Gedanken, das entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft agiert. Nur die Gegenwart, der Augenblick, das Hier und Jetzt ist wahr – ist das SEIN. Ich war und ich werde sein – die Gedanken, die sich genau mit diesem ICH WAR, der Vergangenheit, und dem ICH WERDE SEIN, der Zukunft, beschäftigen, bedienen das Aus-dem-Kontakt-gehen mit mir selbst. Die Wahrheit aber zeigt sich nur, wenn ich in Kontakt mit mir selbst bin.
In meiner Theaterarbeit (ob im Inszenieren, im Schauspielunterricht, im Unternehmenstheater oder beim Coachen) forsche ich! Ich erforsche den Menschen. In seinen tiefsten Tiefen. Ich will die Verstrickungen, in und mit denen er lebt, erkennen und den Moment festhalten, in dem er nackt und unschuldig zugleich ist. Letzteres nenne ich die Wahrheit.
Ich verstehe mich als Wahrheitsfinderin. Einfacher ausgedrückt: Ich will Kontakt mit dem was IST! Der Realität – der Realität an sich!
Das Interessante: Der Schauspieler ist am glaubwürdigsten, wenn es ihm gelingt, nur zu SEIN, wenn er im Spiel-Moment IST, frei von beifallsheischenden, anerkennungssuchenden und egobedürftigen Blockaden (und hier spare ich bewusst jene Blockaden aus, die durch reines Handwerk zu bewältigen sind).
Im Kontakt mit mir SELBST – im Kontakt mit dem, was IST – in Kontakt mit der REALITÄT: Das bezieht sich sowohl auf das Schauspieler-DaSein, als auch auf das alltägliche DaSein.
Es ist schwierig mit den Begriffen: Ego, ICH, Selbst … mir, meine, mich … SEIN, Realität, Subjekthaftigkeit … Wahrheit. Tolle erkennt im ICH und den dazugehörigen Pronomen (mir, meine, mich) einen EGO-identifizierten, sprich – spirituell gesehen – unbewussten Zustand. Ruppert erfährt wiederum in seiner mehrgenerationalen Psychotraumatologie das ICH als etwas Existenzielles, mit dem wir erst wieder in Kontakt kommen müssen, wenn wir unsere abgespaltenen Anteile integrieren wollen. Doch wie erkennen wir, wann wir es mit dem einen oder mit dem anderen zu tun haben? Rupperts psychologische/-therapeutische Arbeit bewegt sich vielleicht noch auf ganz anderen Ebenen, als Tolles spirituelle. Nun – vielleicht sind beide gar nicht so weit voneinander entfernt und ihre Ziele sind sogar die gleichen: Tolle spricht von Bewusstsein, Ruppert von Autonomie.
Ich meine:
Autonomie ist nur durch Bewusstheit/-sein zu erreichen!
Im erweiterten Sinne verabschiede ich mich mit Rilkes weisen Worten:
Wenn man die Fragen lebt, lebt man vielleicht allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antworten hinein.”
… und wünsche Euch eine freudvolle Zeit!
Cornelia